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Die Esoterik von Soshana


Wo ich Soshana das erste Mal getroffen habe? In über zweitausend Meter Höhe, auf dem östlichen Hang des Himalayagebirges, zwischen Nepal und Pakistan, in einem kleinen Zug, der sich langsam, mühsam und ruckelnd seinen Weg hinaufschob. Die Räder knirschten auf dem Sand, der als eine Art Bremse auf die Geleise geworfen wurde als sich der Zug seinen Weg nach Darjeeling bahnte, welches bekanntlich die einzige Einfahrt vom Osten her ist, Richtung dem Kintchinajiga, dem heiligen Berg, der ganzjährig in Schnee gehüllt ist.
In dieser wilden Landschaft erschien mir Soshana wie eine Prinzessin aus einer persischen Miniatur, die vollen schwarzen Haare umrahmten ihre noch viel schwärzeren, mandelförmigen Augen, die sich in ihr Profil einkerbten; zwei rosige, leicht geöffnete Lippen und der Körper einer Sylphe.
Nachdem sie nicht den Anschein erweckte, als wäre sie auf dem Weg in diese Höhen um Tee zu kaufen oder um sich ein Zimmer in einer Privatpension zu nehmen, erlaubte ich mir, nahm ich mir die Freiheit, einige Fragen an Sie zu stellen.
Nun ja, sagte sie, ihr einziges Ziel sei auf die andere Seite von Kintchin zu gelangen, zu den blau-schwarzen Bergen, wo die Todd Riesen zusammen mit ihren Büffelgottheiten und ihren Zwergendienern, den Kourombas, herrschen, eine Gegend in der böse Zauberer leben, von denen es in den Höhlen nur so wimmelt, so unglaublich viele, wie Ratten auf einem Friedhof eines mit der Pest verseuchten Landes.
Ich versuchte sie, von ihrem Entschluss abzubringen, schon allein deshalb, weil sie sich ihre wundervollen Haare abrasieren hätte müssen; außerdem, musste ich, als ich den selben Versuch unternahm, fliehen, gepackt von schrecklicher Furcht und Halluzinationen, indem ich verzweifelt versuchte, der schwarzen Mixture, die mir die Zauberer einflössten und die mich dreißig Tage paralysierte, jedoch bei Bewusstsein, in einer Art Starrkrampf ließ, zu entkommen!
Soshana hörte mir zu, als wir einen Tasse Tee in einem kleinen Bungalow mit Ausblick über den Golfplatz tranken – denn in diesem offenen Vortempel voll der geheimen Rituale befand sich ein Golfplatz…. Wir verabschiedeten uns dann voneinander, beide lächelnd.
Ich traf Soshana, die Malerin, viele Jahre später in einem Atelier in der Rue de la Grande-Chaumière in Montparnasse, Paris. Es befand sich am Ende eines langen Gangs mit Aussicht auf einen alten Hof, in dem sie Totems, Jivaro Köpfe, afrikanische Amulette und ziselierte silberne Thora-Rollen aus dem alten Jerusalem angehäuft hatte.
In den, in der Zwischenzeit vergangenen, zwanzig Jahren, hatte sie sich ihren Weg über die Inseln des Pazifiks, durch die Länder Ost-Indiens, Afrikas, Süd- und Nordamerikas gemalt. Und sie hatte Ausstellungen in Antwerpen, München, Sao Paulo, New York und sogar in Antibes.
In ihrem Atelier in Paris, das einmal einem anderen Reisenden, nämlich Gaugin gehört hatte, bat mich Soshana endlich, einige ihrer Arbeiten anzusehen. Auf einmal ergriff mich die Furcht. Obgleich diese Künstlerin viele Länder bereist und viele Ozeane überquert hatte, hinterließ Indien tiefe Spuren in ihren Arbeiten. Jedes ihrer Bilder, ganz gleich wie leuchtend die Farben auch waren, versetzte mich zurück in die düstere Stimmung in der Höhle der gehörnten Zauberer, ich war zurück in den tiefen, dunklen Tälern, in denen der schwermütige Ton geweihter Blashörner erklang, der unterirdisches Gewölbe durchströmte, in dem die Opfer meist wochenlang und in Lebensgefahr umherirrten. All das kam mir beim Betrachten der Bilder in den Sinn, noch bevor ich sie dem wesentlichen Inhalt nach beurteilen konnte.
Soshana begann mit sechzehn zu malen. Ihre erste Reise führte nach Frankreich und ihr erster Besuch galt Picasso, der ihr, während er sie portraitierte, riet:
„Höre auf niemanden. Schau dir viele Dinge an. Arbeite selbständig.“
Und das war es, was sie auch tat: sie schaute sich viele Dinge an und arbeitete viel.
Ich stehe nun inmitten von Hunderten von Gemälden. Abgründe von Blautönen herrschen vor, jedoch hat die Künstlerin nicht gezögert, all diesem gefährlichen, preußischen Blau, die zartesten Schattierungen von Ocker in Gegensatz zu setzen, die in ihren Landschaftsbildern ähnlich wie ein Wohlklang aus "Le Sacre du Printemps" in unheilvollen Szenen aufeinanderprallen.
Oder, wenn sie sich an Thailand und andere Orte erinnert, in dem glühende Pagoden leuchtend vor den Tiefen der unbeschreiblichen Nacht auftauchen. Keines ihrer Bilder ist gekünstelt oder von jemandem anderen, außer von ihr selbst, erfunden. „Von der Tiefe ihrer Seele“, so hätten es die ersten Maler nach den Kubisten ausgedrückt. Und was für eine Seele, geprägt von unergründlichen Mysterien, unverfälscht hervorgebracht aus Farben!
Zum Teufel mit den kritischen Beurteilungen: Machen wir es wie Soshana: Sehen wir uns ihre Bilder an. Und wie sie, finden wir in ihren Bildern und in uns selbst so manche Überraschung und unsere Gefühl wieder.

Michel Georges-Michel, Paris 1969, Kunstkritiker